Polen träumt vom Weinbau
Wie der Winzer Roman Mysliwiec eine alte Tradition aufleben lässt - Gesetzeverbieten Verkauf
Der Traum vom eigenen Weinberg - Roman Mysliwiec hat ihn sich verwirklicht. Wo? In Polen! Zwar gibt es im Land des Wodkas seit dem Zweiten Weltkrieg keine Winzertradition mehr, doch wollen Hunderte von Enthusiasten gerne Winzer werden. Ihnen greift die Europäische Union (EU) nun tatkräftigunter die Arme.
An den Südhängen rund um den Ort Jaslo fallen sie ins Auge: Weinreben, in langen geraden Reihen angepflanzt. Ein ungewöhnlicher Anblick hier, in der tiefen südpolnischen Provinz. Der Herr des Weinbergs ist Roman Mysliwiec. Ein Charaktertyp mit buschigem Bart und dicken schwarzen Locken, der sich etwas in den Kopf gesetzt, hat: Er will den Weinbau in Polen populär machen.
Weinland Polen? Da soll nur keiner lachen. "Wir haben hier ein Klima wie im Elsass - nur die Winter sind kälter", sagt Mysliwiec. Gerade hat der studierte Chemiker (52) ein Grundstück beim Wallfahrtsort Tschenstochau inspiziert. "Der Boden dort ist wie geschaffen für Weinbau", schwärmt er, "metertief lockere Erde, mit Steinen durchsetzt - genau wie in Burgund."
Schlesien besonders reizvoll
Die EU-Kommission teilt die Ansicht des Enthusiasten: Sie hat Polen als geeignet für den Weinbau eingestuft und fördert die Gründung neuer Winzerbetriebe. Besonders in Podkarpatien und in Schlesien ist das Interesse groß. Und Roman Mysliwiec gilt als Guru in der wachsenden Gemeinde von angehenden Weingärtnern: 180 Neulinge allein aus seiner Region hat er in Kursen in die Geheimnisse des Weinbaus eingeführt.Seit mehr als 20 Jahren experimentiert der "Bacchus aus Jaslo" auf der Anhöhe des Golesz-Bergs mit verschiedenen Rebensorten. Mittlerweile bewirtschaftet er zwei Hektar, lebt vom Verkauf von Setzlingen. Winterhart müssen sie sein - das ist die wichtigste Anforderung für Reben, die in Südpolen gedeihen sollen. Mysliwiec testete Hibernal und Sibera aus Deutschland, Seyval blanc aus Frankreich und Muskat Odeski aus der Ukraine. Die besten Ergebnisse hat er mit Swenson Red erzielt - einer Rebsorte aus den USA, die für das raue Klima des Bundesstaates Wisconsin entwickelt wurde. "Weine mittlerer Qualität - so für vier, fünf Euro die Flasche", das ist ein realistisches Ziel in Polen, bückt Mysliwiec in die Zukunft.
Momentan allerdings darf noch kein polnischer Winzer auch nur eine Flasche Wein verkaufen. Schuld ist nicht der harte Winter, sondern das harte polnische Gesetz: Wer seinen Wein auf den Markt bringen will, braucht dazu Genehmigungen von 37 verschiedenen Behörden. Außerdem muss er auf seinem Gelände rund um die Uhr die Aufsicht eines Zollbeamten garantieren. "Die Gesetzgebung ist rein auf die Schnaps verarbeitende Industrie ausgelegt", klagt Roman Mysliwiec. "Für kleine Winzerbetriebe gibt es keine Ausnahmen." Auf Druck der EU soll das Gesetz bald geändert werden - der Entwurf dafür liegt schon im Parlament.
Die hinderlichen Paragraphen sind noch ein Erbe aus der kommunistischen Zeit. Denn Polens Kommunisten verdammten den Wein und seinen Anbau als "unpolnisch", schreibt der Historiker Andrzej Toczewski. Er ist Direktor des Weinmuseums im schlesischen Zielona Gora (Grünberg). Vor dem Zweiten Weltkrieg lag hier das nördlichste Weinbaugebiet Deutschlands.
"Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Grünberg 48 Weingärtnermeister und 700 Hektar Anbaufläche", erzählt Museums-Historikerin Izabela Korniluk. Die älteste Sektkellerei Deutschlands, die Firma Grempler & Co. produzierte hier seit 1826 ihren Sekt. Heute liegt der Weinberg mit dem Grempler-Haus mitten in der Stadt. In der Ferne ragen Plattenbauten und Industrieanlagen in die Höhe, am Fuße des Hangs knattern Autos. Der historische Weinberg mit seinen Reben wirkt wie ein Gruß aus einer vergangenen Epoche.
Ein Klimawechsel und die leichtere Verfügbarkeit besserer Weine aus dem Rheinland drängten den Weinbau in Schlesien im 19. Jahrhundert zurück. Doch Winzer aus Grünberg zogen nach Australien, waren dort maßgeblich am Aufbau der Weinregion Barossa Valley beteiligt. Bekanntestes Beispiel ist der Weinbaubetrieb Peter Lehmann, der im Barossa Valley Weine von hoher Qualität produziert - Riesling, Chardonnay und Shiraz.
An den Fassaden der Altbauten in der Fußgängerzone von Zielona Gora erinnern heute noch Stuckelemente in Form von. Weinblättern und Weintrauben an die alte Tradition. Viel mehr geblieben ist nicht - selbst die vor dem Krieg berühmten Weinlese-Feste waren in der kommunistischen Zeit zunächst verpönt.
Vom Hobby zum Beruf
Doch auch in der Region um Zielona Gora gibt es jetzt Weinbau-Enthusiasten, die ihr Hobby zum Erwerb machenwollen. "Wir haben nicht den Ehrgeiz, den europäischen Markt zu erobern - das wäre ja vermessen", sagt Kinga Kowalewska-Koziarska. Die blonde Bildhauerin hat viele Ideen für den "Weinberg Kinga", den sie mit ihren Eltern und Ehemann Robert in der Ortschaft Stara Wies bei Zielona Gora kultiviert.Rebsorten aus Moldawien, Ungarn und der Ukraine stehen auf 1,5 Hektar Fläche - bald sollen es 2,5 Hektar werden. Die 29-jährige Kinga möchte ihr altes Bauernhaus am Oder-Ufer zu einem Ausflugsziel für Touristen ausbauen. Die sollen selbstangebauten Wein und regionale Spezialitätengenießen können.
Auch Kinga Kowalewska-Koziarska wartet darauf, dass die polnischen Gesetze zum Verkauf von Wein geändert werden. "Aber Weinanbau ist eine langfristige Sache - man muss jetzt beginnen, wenn man in drei Jahren zum ersten Mal ernten will." Die Zunft steckt in Polen eben noch in den Anfängen. "Wir sind allenfalls Wein-Anbauer", sagt sie. "Vielleicht können sich unsere Kinder einmal Winzer nennen."
Doris Heimann
Rhein-Zeitung
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